Mond ohne Schatten

Gustav Franz, Jahrgang 1972, studierte an der HGB Leipzig Photographie und arbeitet selbstständig als (Repro)-Photograph

In seiner Bildserie „MOON“ schlägt Gustav Franz selbstbewusst bereits in der Titelgebung einen internationalen Ton an und weist sich durch die Formalien seines Werkes als Kenner kunstgeschichtlicher Standards sowie zeitgenössischer Tendenzen aus, die er beide gelassen hinter sich lässt.
Die großformatigen Photographien (100x100cm) bestechen durch einen minimalistischen Bildaufbau, der die Synthese von Kreis und Quadrat in abstrakter Schärfe mit dem Erbe des traditionsreichen Tondo, dem Rundbild klassischer religiöser Malerei, verbindet.

Vor einer formatfüllenden Lichtscheibe, die der geneigte Betrachter durch den Bildtitel nahegelegt sofort als den Mond begreift, erscheinen schattenrissartig die Silhouetten winterlich unbelaubter Bäume, die Einsamkeit, nächtliche Stille und andächtige kosmische Naturverbundenheit vermitteln.
Die Pointe ist jedoch, dass der assoziierte Mond Einbildung des Betrachters ist, da dieser nicht wirklich photographiert wurde, sondern durch gezielte Bildbearbeitung lediglich suggeriert wird. 
Das macht die Bildreihe zum Hybriden aus konstruktivistischer Abstraktion und Naturalismus und weist letztlich in ironischer Weise darauf hin, dass romantische Mondsucht eine - wenngleich provozierte - Interpretation des Rezipienten, also Wunsch- und Traumdenken sind, das das rein technisch visuelle Registrieren im Überschwange der Phantasie ungehörig übersteigt. 
Somit überwindet Franz das rein romantische Stimmungsbild, indem er es zwar phänomenologisch anklingen lässt, es technisch aber entmaterialisiert.   
Simplifiziert ausgedrückt: Man sieht, was man sehen will, dabei noch mehr, als da ist. 

Der Kreis, eines der ältesten Zeichen der Menschheit, der bekanntlich die ewige Wiederkehr, Vollständigkeit und Gesamtheit symbolisiert, wird in dieser Bildreihe von Gustav Franz mit der Kontemplation des Tondo/ Rotondo der italienischen Renaissance aufgeladen, das metaphysische Konzentration transzendiert. 
Allein die Überlegung, ob es sich bei diesen Bildern um Quadrate oder um Rundbilder handelt, wonach man die den Kreis umschließende Form bereits als Rahmen betrachten würde, mündet in eine Quadratur des Kreises, die dem intellektuellen Feinwitz des Franz entspricht. 
Doch ich schweife ab.
Zentral für die Bildgestalt sind die netzartigen Brechungen, geflechtartigen Baumformen und die organischen Urwüchsigkeiten, die dem klaren Rund den entscheidenden formalen Gegenpol liefern. Durch sie ist der Betrachter gebannt und folgt der rhythmischen Zerstreuung oder dem phallischen Drängen der obskuren Form.
In ihr fühlt sich der Betrachter verstanden und lebendig. Sie zeigen doch den Wert individueller ausdifferenzierter Gestalt im harmonisch geordneten Grundgefüge. Durch sie entsteht die Verdichtung verbindender Schwärze im existenziellen Licht. 
Zugleich deutet die winterlich-nächtliche Starre subversiv auf die Ruhe des Betrachtens selbst und der kahle Baum verweist inhaltlich auf die zyklische Wiederkehr des frühlingschen Erwachens, die der scheinende und scheinbare Mond in seiner unendlichen Umrisslinie mantra-artig manifestiert.

Schlusssentenz:
Gustav wird mir hoffentlich dieses schwülstige Geschriebsel verzeihen, denn er drückt gerne mal ein Auge zu, nicht nur beim Photographieren, bei dem er - poetisch gesprochen - dem dreibeinigen Zyklopen, seiner Kamera, ins hohle Hirn guckt, um drei Kreise, die Iris des kühnen Künstlerauges, die lupenreine Linse des Objektives und den magischen Mond in Kongruenz zu bringen.